Kürzlich erzählte mir eine Klientin, eine etwa vierzigjährige lebensfrohe und gewöhnlich starke, gestandene Frau, dass sie, vor einigen Tagen, wie schon so oft, in die Stadt gegangen war, um ein paar Lebensmittel einzukaufen. Dabei bemerkte sie eine ihr neue Verunsicherung in dieser sozialen Umgebung. Als sie unerwartet auf der Straße von einem fremden Menschen, freundlich und offensiv, ohne Maske, angelächelt wurde, berührte und freute sie sich so sehr, dass sie fast weinte.
Wow! Da sind sie, die Folgen der neuen Einsamkeit! Die, nun schon so lange bestehenden Kontakteinschränkungen, haben bei vielen von uns inzwischen Spuren hinterlassen.
Ich finde es großartig und beruhigend, dass ein Großteil der Menschen noch immer Geduld aufbringen und bereit sind, sich an die Abstands-und Hygieneregeln zu halten. Aber nun wird es höchste Zeit, dass wir einen Ausgleich zu der Einsamkeit, die durch Abstand halten und Maske tragen entsteht, schaffen! Wir müssen Gelegenheiten schaffen, uns mit anderen Menschen auszutauschen, uns mitzuteilen und zuzuhören, unseren Gefühlen Raum zu geben und Anteil zu nehmen an dem, was andere fühlen.
Die neu verordnete Einsamkeit ist für viele Menschen deshalb schlimm, weil sie an früher erlebte Einsamkeit und Isolation erinnert. Sie ist für viele ein Trigger für die Erfahrung, als Kind alleingelassen worden zu sein. Unbeachtet, ungesehen, ungeliebt. So ist es für viele in der Kindheit gewesen und so kann es sich heute wieder anfühlen. Die heute erlebte Einsamkeit und Isolation kann Traumaerinnerungen aus der Kindheit hervorbringen. Das macht das Umgehen mit dem, was heute ist, um ein vielfaches schwerer.
Herzliche Grüße,
Ihre Brigitte Koch-Kersten