Der Traumaheilungsprozess verläuft in Phasen. Wie in einer Spirale muss das Erleben der einen Phase reifen, bevor die nächste Phase beginnen kann. Die Erfahrungen, die wir in den jeweiligen Phasen machen, bereiten uns für den nächsten Schritt vor und dienen der Reifung in den nächsten Schritt hinein.
In der ersten Phase werden wir uns der Anstrengung bewusst, mit der wir versuchen einen Platz in diesem Leben einzunehmen. Wir haben Überzeugungen gewonnen, was wir tun müssten, um leben zu können. So ist z.B. jemand davon überzeugt, er oder sie müsse immer gut, richtig, liebenswürdig usw. sein, um das Recht zu haben, zu Leben. Irgendwann bemerken wir, dass wir uns über alle Maßen anstrengen und dieses Ziel doch nicht erreichen. Wir verlieren die Lust auf immer weitere Anstrengung und wissen aber noch nicht, wie wir anders leben könnten. Uns fällt auf, dass etwas gewaltig schief läuft in unserem Leben und wir verlieren sowohl die Lust als auch die Kraft, die gewohnte Anstrengung fortzusetzen. Wir wollen nicht mehr, wissen aber noch nicht, was wir an die Stelle dieses gewohnten Überlebensmusters setzen können.
Im Übergang von einer Phase zur nächsten tauchen häufig Ängste auf. Wir wollen das Alte nicht mehr fortsetzen, haben aber noch keine Alternative dazu. Mit dem alten Muster hatten wir einen Platz im Leben, ein Selbstkonzept und Sicherheit gefunden, etwas Neues kennen wir noch nicht. Das macht Angst. Diese Angst kann eine Ambivalenz in uns entstehen lassen: wir wollen das Alte zwar beenden, aber nicht loslassen. Die Ambivalenz kann zu Abwehr und Widerstand führen, zu einem Treten auf der Stelle. Je länger wir in dieser Phase feststecken, umso mehr wächst das Leid bis schließlich Verzweiflung entsteht. Die Verzweiflung ist ein sich unerträglich anfühlendes Gefühl, aber sie bereitet den Übergang in die nächste Phase vor.
Der Übergang von der ersten Phase zur zweiten entsteht, wenn das Erleben von Verzweiflung eskaliert. Wir erleben, dass wir am Ende sind. Wenn wir das, trotz der Angst vor dem Untergang, zulassen und annehmen können, kann das Ringen darum, das Alte aufrechterhalten zu wollen, aufhören und wir lassen los. In der zweiten Phase lassen wir zu, dass wir am Ende sind. Dieser wichtige Schritt macht den Weg frei für das Neue, das dringend gebraucht wird. Das Neue kann nicht aus dem alten Konzept entstehen! Es fällt uns aus einer tieferen Ebene unseres Bewusstseins, der wir uns bisher nicht bewusst waren, zu. Das Neue ist eine bahnbrechende neue Erkenntnis, die wir zuvor nicht zu denken in der Lage waren oder uns zuvor nicht getraut haben sie zu denken. So erkennt z.B. jemand der oder die das Überlebensmuster hatte immer richtig, gut und liebenswert sein zu müssen, dass er oder sie dieses Ziel niemals erreichen kann. Kognitiv gewusst hat die Person es vielleicht schon lange, aber erfahren kann sie es erst jetzt, mit allen Konsequenzen. Sie erkennt ihr eigenes natürliches Begrenztsein und das Begrenztsein der Welt und erfährt es erstmalig nicht als Lebensgefahr, sondern als natürliche Bedingung des Lebens.
Eine solche bahnbrechende, alte Fesseln sprengende Erkenntnis geht einher mit einer großen Erleichterung darüber, dass wir leben wo wir glaubten vernichtet zu sein oder vernichtet zu werden.
Das Neue und die Erleichterung öffnen den Weg für die dritte Phase des Traumaheilungsprozesses: die Umkehr und den Neubeginn. Die Erkenntnis unseres fundmentalen Irrtums kann zwar eine Kränkung sein und unser Selbstbild noch eine Weile erschüttern, aber die Erleichterung darüber, dass wir z.B. durchaus begrenzt sein dürfen und unser Überleben nicht davon bedroht ist, ermöglicht es uns, uns liebevoll, verständnisvoll, interessiert und mitfühlend zuzuwenden. Wir beginnen uns selbst tiefer zu verstehen. Die Liebevolle Beachtung, die wir uns in dieser Phase entgegenbringen, stärkt uns und fördert unsere Selbstliebe, Selbstachtung und unser Selbstvertrauen.
Je mutiger wir uns in dieser dritten Phase uns selbst zuwenden, je ehrlicher wir uns selbst gegenüber sind und je verlässlicher es uns gelingt, uns in dem, was wir erleben und wer wir sind liebevoll zu beachten, zu begleiten und zu unterstützen, umso grundlegender erkennen wir uns selbst, bringen unsere Schattenseiten ins Licht und wachsen aus ihnen heraus.
Diese dritte Phase der Traumaheilung ist die Phase der Öffnung und des Wachsens, der Selbstbejahung und der Heilung. Sie führt dazu, dass wir mehr und mehr erkennen aus welchem Potenzial wir bestehen. Es gelingt uns mehr und mehr uns zu trauen, uns mit unserem Potenzial zu zeigen und uns ins Leben einzubringen.
Das wünsche ich uns allen sehr! Die Welt braucht uns mit unserem Potenzial! Die Welt baucht es, dass wir unsere traumatischen Verletzungen heilen, unsere konstruierten, verneinenden Selbstkonzepte auflösen, uns trauen mit unserer Kraft und Liebe da zu sein und uns der Welt zu schenken- so wie wir das möchten.